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Ein Sommertag im Urwald

„Der Lammertaler Wächter“, die „Große Buche“ und der „Alte Tax“ gehören zu den höchsten Bäumen Österreichs. Gemeinsam mit anderen Baumriesen wachsen sie im „Lammertaler Urwald“ in St. Martin am Tennengebirge: Dieses besondere Stück Wald liegt auf 1.300 Meter Seehöhe und ist so gut versteckt, dass es nie forstwirtschaftlich genutzt wurde. So entstand über die Jahrhunderte ein Ausflugsziel, das erstaunliche Naturwunder beherbergt und vor allem an einem warmen Sommertag eine besondere Form der Erfrischung bietet.

Schon an seinem Schritt erkennt man, dass dieser Mann viel im Wald unterwegs ist: Gleichmäßig folgt Karl Mandler, Oberförster in Ruhe, dem Pfad hinter der Spießalm. Er geht langsam, damit das kleine Grüppchen an Kindern und Erwachsenen nicht völlig außer Atem gerät. Die Wiese ist steil und Karl Mandler verweist auf kleine Stolperstellen, über die am Ende dann doch alle stolpern: Einfach weil die Blicke nicht auf den Boden gerichtet sind, sondern dorthin, wo sich was rührt. Und das ist hier überall der Fall: Die Sonne steht hoch am Himmel, Kühe weiden, aus dem Schornstein der Alm steigt Rauch, Vögel kreisen. Und als dann der Eingang zum „Lammertaler Urwald“ nach gut einer halben Stunde erreicht ist, sind auch alle außer Atem und aufgeregt: Einen Urwald zu betreten, ist immerhin kein alltägliches Erlebnis.

Kaum ist die Schwelle des Waldes erreicht, kehrt jedoch schlagartig Ruhe ein. Das geschlossene, grüne Blätterdach dämpft das Sonnenlicht und auch die Geräusche: trockene Blätter rascheln unter den Füßen, der Wind streift durch die Äste hoch über den Köpfen. Die riesigen Bäume werfen ebenso riesige Schatten und spenden überraschend schnell erfrischende Kühle. Das übermütige Lachen verstummt, das Schwatzen wird zum Flüstern. Ehrfurcht tritt an die Stelle von Übermut, aus Vorfreude wird Staunen. Für Karl Mandler ein gutes Zeichen: Im Wald sollte Lärm grundsätzlich vermieden werden. Umso besser also, wenn dieses besondere Stückchen Natur mit seiner wundersamen Atmosphäre Besucher sogleich gänzlich verstummen lässt.

Regelmäßig stattet Karl Mandler dem „Lammertaler Urwald“ in St. Martin am Tennengebirge in der Genuss- und Erlebnis-Region Tennengau einen Besuch ab: Meist alleine und früher oft in seiner Funktion als Oberförster im Auftrag der Österreichischen Bundesforste, denen dieses Waldstück gehört. Manchmal nimmt er heutzutage aber auch Besucher mit, um ihnen die Besonderheiten des Waldes zu zeigen: So etwa die rund 320 Jahre alte „Große Buche – die Mutter des Waldes“ oder den ebenfalls 300 Jahre „Alten Tax“, eine Fichte mit einem Stammdurchmesser von gut 160 Zentimetern. Ein schmaler Rundweg führt in einer große Schleife durch den abschüssigen Wald. Das Gelände ist steil und im Wesentlichen der Hauptgrund dafür, dass es den „Lammertaler Urwald“ überhaupt gibt. „Die Unzugänglichkeit des Waldes hat dazu geführt, dass er nie forstwirtschaftlich genutzt wurde“, erklärt Karl Mandler. „Was dem Wald ebenfalls zugutekommt, sind die optimalen Wuchsbedingungen mit gutem Boden und viel Niederschlag. Das Buchenlaub sorgt jedes Jahr im Herbst dafür, dass sich eine nährstoffreiche Humusschicht auf dem Boden bildet.“

Oberförster in Ruhe Karl Mandler im Lammertaler Urwald © Servus TV

Der „Lammertaler Urwald“ ist eine natürliche Fichten-Tannen-Buchen-Waldgesellschaft, wie sie typisch für die Region ist: Außergewöhnlich ist jedoch das hohe Alter der Bäume. „Der ‚Lammertaler Urwald‘ hat eine wichtige Schutzfunktion und ist zugleich ein Bannwald, der die darunterliegende Siedlung vor Muren, Steinschlag und Lawinen schützt“, erklärt Karl Mandler. „Außerdem ist er Lebensraum für zahlreiche Tierarten.“ Vom seltenen Weißrückenspecht über Rehe und Gämsen leben hier im Wald auch Schneehasen, Marder und Füchse. Vor allem das Totholz – abgestorbene Bäume, die sich nur langsam zersetzen – sind ein wichtiger Lebensraum für Insekten, über die sich wiederum Singvögel freuen: Allein in einem Stamm können sich bis zu 200 Tierarten aufhalten. Als der ehemalige Oberförster ein Stück Rinde abbricht, wimmelt es darunter von kleinen Tierchen. Die Kinder sind begeistert! Verschwunden ist jegliche Angst vor Ameisen oder Abscheu vor Spinnen.

So ist im „Lammertaler Urwald“ der Kreislauf von Werden und Vergehen, von Wachsen und Verwittern auf besonderes schöne Weise zu beobachten. Karl Mandler verweist auf die Zeichen der Zeit: Hier riesengroße Pilze auf morschen Baumstämmen, dort die mächtigen Bäume wie der „Lammertaler Wächter“, eine 47 Meter hohe Tanne. Begeistert versuchen die Kinder, den Stamm zu umarmen: Als sie sich endlich zu zwölft an den Händen fassen, klappt es auch. Sie sind – ebenso wie die Erwachsenen – fasziniert von den imposanten Riesengebilden.

Gigantischer Baumumfang © Servus TV

Es ist eine Mischung aus Anfassen und Zuhören, Spüren und Lernen, die einen Besuch im „Lammertaler Urwald“ so spannend macht. Nach gut einer Stunde ist die Pforte des Waldes wieder erreicht: Die Almwiese liegt in der hellen Mittagssonne, als wäre nichts gewesen. Und doch fühlt es sich so an, als hätte man einen kleinen Zeitsprung unternommen und trete von einem Raum in den nächsten: Selten wird die Bedeutung „Naturraum Wald“ so deutlich wie hier. Und so geht es raus aus dem „großen Grün“ rein ins Licht. Fast würde man meinen, der „Lammertaler Wächter“ verschließe hinter den Besuchern die Tür zu seinem Reich. Jedoch in dem Wissen, dass sie in den nächsten hundert Jahren jederzeit wieder geöffnet werden kann.

„Lammertaler Urwald“ in der Genuss- und Erlebnis Region Tennengau und die Tennengauer KäseAlm „Spießalm“ in St. Martin am Tennengebirge.

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