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(c) Salzburger Nachrichten, Christian Heugl, Hoffnung und Trost

Europa in der Krise

„Stille Nacht! Heilige Nacht!“ entsteht in einer Zeit von Hunger und Not

Das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ entstand in einer Epoche, in der sich ganz Europa im Umbruch befand. Politische Umwälzungen, Kriege und wirtschaftliche Not haben über Jahrzehnte die Bevölkerung des Fürsterzbistums Salzburg, der Habsburgermonarchie und Bayerns ausgeblutet und traumatisiert. Napoleon hat mit Kriegen und Feldzügen ganze Landstriche entmachtet, geplündert und durch Brände vernichtet. Zudem kam im Jahr 1816 eine Naturkatastrophe mit verheerenden Auswirkungen über Europa: Ernteausfälle, Schulden und ein „Jahr ohne Sommer“ führten zu Hunger und noch mehr Not. Vor diesem Hintergrund verfasste Joseph Mohr 1816 das Gedicht „Stille Nacht! Heilige Nacht!“. An Weihnachten 1818 gab er den Text an Franz Xaver Gruber weiter, der das Gedicht vertonte. Entstanden ist eine hoffnungs- und trostspendende Weihnachtsbotschaft.

„Wo die Sprache endet, beginnt die Musik“ – dieser Ausspruch von Hugo von Hofmannsthal könnte als wunderbare und feinsinnige Erklärung für die Entstehung des Liedes „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ herangezogen werden. In einer Zeit der tiefsten Not schenkte Joseph Mohr der bitterarmen Bevölkerung ein Gedicht. Dieses Gedicht und sein eigener, ungebrochener Glaube waren das wertvollste Geschenk, das der junge Hilfspriester den nach Hoffnung ringenden Menschen auf den Weg geben konnte. Sie selbst waren hungrig, hoch verschuldet und ohne Perspektive. Zu Weihnachten 1818 steckte Europa bereits seit Jahrzehnten in der Krise: Napoleons Eroberungs- und Revolutionsfeldzüge haben einst befreundete Nachbarländer in Kriegszustand versetzt. Französische Armeekorps belagerten die Gegend über Monate, neue Grenzen rissen Beziehungen, Städte und Familien auseinander.

Österreich im Zeichen der Franzosenkriege

Salzburg war von der politischen Neuordnung besonders betroffen: Jahrhundertelang ein unabhängiges, geistliches und wohlhabendes Fürsterzbistum unter der Herrschaft der Fürsterzbischöfe von Salzburg, wurde das Land 1800 von den Franzosen besetzt und 1803 säkularisiert. Es ging zunächst als weltliches Kurfürstentum Salzburg an den Habsburger Ferdinand III., ab 1805 nach neuerlicher Besetzung durch die Franzosen unter mehrmaligen Gebietsabtrennungen an Bayern und letztlich an die Habsburgermonarchie.

Tirol, als gefürstete Grafschaft jahrhundertelang ein relativ selbständiger Teil des österreichischen Kaisertums, wurde ebenfalls von den Franzosen besetzt und 1805 Teil des mit Napoleon verbündeten Königreichs Bayern. Legendär und blutig niedergeschlagen: Der Tiroler Volksaufstand 1809 unter Andreas Hofer gegen die Franzosen und ihre Verbündeten. Erst 1814 kam der bayerische Teil von Tirol an Österreich zurück.

Das Innviertel war jahrhundertelang Teil des Herzogtums Bayern und fiel erst infolge des Bayerischen Erbfolgekrieges und mit dem Frieden von Teschen 1779 an Österreich. Infolge der Koalitionskriege war Oberösterreich jahrelang Kriegsschauplatz, musste Besetzungen und Gebietsabtretungen hinnehmen. Obwohl schon 1814 unter den Kriegsparteien die Rückgabe des Innviertels und des westlichen Hausruckviertels an Österreich vereinbart wurde, zog sich die Übergabe bis 1816 hin.

Landauf landab eine bittere Kriegsbilanz

Der Wiener Kongress 1814/1815 besiegelte das Ende der napoleonischen Ära. Salzburg fiel am 1. Mai 1816 mit dem Vertrag von München endgültig an Österreich. Allerdings nicht als eigenständiger Teil des Habsburgerreichs, sondern als Landkreis des Erzherzogtums „Österreich ob der Enns“ mit Verwaltungssitz in Linz. Ein Zustand, der bis 1850 andauerte.

Die jahrhundertelang salzburgischen Täler Zillertal und Brixental gehörten fortan zu Tirol. Der Landesname Salzburg verschwand von der Landkarte. Die einst so prächtige Residenzstadt  verkam zur unbedeutenden Kreisstadt. Kunstschätze wurden nach Wien gebracht, Beamte verließen die Stadt, die Bevölkerungszahl sank von 16.000 auf 12.000 Menschen.

Tirol und Oberösterreich blieben zwar von Gebietsverlusten verschont, doch auch hier hinterließ der Krieg mit seinen Begleiterscheinungen wie Plünderungen, Zwangseinquartierungen und Reparationszahlungen allenthalben nichts als Not.

Auf den Krieg folgte das verheerende „Jahr ohne Sommer“

1816 wurde die österreichische und bayerische Bevölkerung Opfer einer Naturkatastrophe nie gekannten Ausmaßes. Der Ausbruch des Vulkans Tambora im April 1815 auf der indonesischen Insel Sumbawa löste ein Jahr später in ganz Kontinentaleuropa eine dramatische Klimaveränderung aus: Weltweit sanken die Durchschnittstemperaturen um ein bis zwei Grad. Die Ernte verkam in nimmer endendem Regen und sommerlichem Schneefall. Vor allem die Bauern in Salzburg, Tirol und Oberösterreich gehörten zu den Leidtragenden. Angesichts von Missernten und Hungersnöten versanken sie in Hoffnungslosigkeit und Apathie: Die Menschen nahmen die Katastrophe als „von Gott gegeben“ hin. Das Jahr 1816 ging als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein.

Die Menschen hungerten und suchten nach neuen Verdienstmöglichkeiten

1818 vernichtet ein verheerender Brand in der Stadt Salzburg 93 Stadthäuser, worauf mehr als 1.000 Menschen ihr Hab und Gut verloren. Als fast verzweifelt war die Lage auf dem Land zu nennen: Die Bauern in Oberösterreich, die sich wie Franz Xaver Grubers Familie mit dem Heim-Handwerk des Webens ein notwendiges Zubrot verdienten, verloren durch die Erfindung des mechanischen Webstuhls 1786 nach und nach dieses Standbein. Im kargen, schon seit dem 16. Jahrhundert überbevölkerten Gebirgsland Tirol mussten noch mehr Bauern als Wanderhändler losziehen, ihre Kinder nach Deutschland und in die Schweiz in Dienst schicken oder ganz auswandern.

„Stille Nacht! Heilige Nacht!“ als Trostlied für eine traumatisierte Bevölkerung

Der Oberösterreicher Franz Xaver Gruber, seines Zeichens Lehrer in Arnsdorf, und der Salzburger Hilfspriester von Oberndorf, Joseph Mohr, selbst in einfachsten Verhältnissen aufgewachsen, erlebten die Not unmittelbar. Doch beide kannten von klein auf die Musik als Balsam für die Seele. Oberndorf war von den Veränderungen besonders betroffen: Durch den Münchner Vertrag wurde der Rupertiwinkel im Nordwesten Salzburgs Bayern zugesprochen. Die Salzachstadt Laufen wurde zerrissen: Das Stadtzentrum mit allen wichtigen Einrichtungen gehörte weiterhin zu Bayern, der Vorort Oberndorf kam zu Salzburg. Eine dramatische Situation für Oberndorf: Hier gab es weder Friedhof noch Schule. Schon gar keine Verwaltung oder Administration. Die einstige Lebensader – die Salzach – war zum trennenden Grenzfluss geworden.

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